Erfahrt von Christian Raidl, dem Gründer und Geschäftsführer von seller.at, was einen Recommercer der ersten Stunde ausmacht und warum auch ihr womöglich noch einen Goldschatz auf dem Dachboden haben könntet.
Der Begriff Recommerce ist erst gegen 2008-2009 populär geworden. Du hast dich aber schon wesentlich früher mit dem Thema beschäftigt…
Ja, das ist richtig. Ich bin seit fast 20 Jahren selbsständig und bin eigentlich von Tag 1 ein Recommercer gewesen, also ein An- und Verkäufer von gebrauchten Waren. Mit der Zeit habe ich zwei stationäre Läden aufgebaut, in denen CDs, DVDs, Konsolenspiele und früher auch Schallplatten gehandelt wurden.
Wann bist du dann den Schritt in die Online-Welt gegangen?
Das war gegen 2009/2010, als mir das große Potenzial des Online-Recommerce klar wurde. Man hat einfach ein wesentlich größeres Einzugsgebiet und die Logistik kann auch noch deutlich vereinfacht werden. Mittlerweile haben wir über 46.000 Artikel angekauft und mehr als 76.000 EUR an unsere Kunden ausgezahlt.
Wie ist seller.at mittlerweile organisatorisch aufgestellt?
Meine Philosophie war es von Anfang an, das Geschäft übersichtlich und einfach zu halten. Ich habe die Programmierung des Shops und das Handling der Ware outgesourced, so dass ich mich ganz auf die Strategie und Konzeption von seller.at fokussieren kann.
Das bringt uns auch strategische Vorteile, vor allem in der Umsetzungsgeschwindigkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist der Lego An-und Verkauf, der mittlerweile ein ganz großer Differenzierungspunkt von seller.at ist. Obwohl wir hier im großen Maßstab neue Features in der Shopsoftware entwickeln lassen mussten, vergingen von der Idee bis zur Umsetzung nur 3 Monate.
Lego zählt ja nicht gerade zu den klassischen Ankaufs-Kategorien im Recommerce. Gibt es dafür wirklich einen Markt?
Und wie! Ursprünglich bin ich durch Anfragen unserer Kunden auf das Thema aufmerksam geworden. Lego eignet sich aus vielerlei Gründen für den Recommerce-Handel: Zum einen sind Legosteine einfach wahnsinnig robust, daher lässt sich auch mit Steinen, die durch viele Hände gegangen sind, noch wunderbar spielen. Zum anderen ist Lego das einzige Spielzeug-System, mit dem Generationen von Kindern gespielt haben und das gleichzeitig immer noch aktuell ist. Und die Steine sind auch weiterhin alle zueinander kompatibel. Lego ist für mich aufgrund des Wertbestands das äquivalent von Gold im Recommerce. Der Markt ist riesig, wir können die immense Nachfrage leider nicht immer bedienen.
Ich appelliere daher an alle Leser, mal an einem ruhigen Sonntag den Keller oder den Speicher nach alten Legokisten zu durchsuchen. Ich bin mir sicher, dass die meisten noch fündig werden – Lego hat eine unglaubliche Verbreitung.
Warum glaubst du, dass der Lego-Gebrauchtankauf dann trotz des großen Potenzials bisher nur von euch angeboten wird?
Weil er nicht so einfach umzusetzen ist wie der Handel mit Medien zum Beispiel. Das Handling ist wesentlich komplexer und benötigt viele Einzelschritte, von der Reinigung der Elemente bis zur Sortierung der verschiedenen Grundbausteine. Auch die Bestimmung eines fairen An- und Verkaufpreises ist viel schwieriger als dies bei Medien der Fall ist. Es gibt nämlich schon einige Dienste, die Lego ankaufen, aber eben nicht unter Vorabnennung eines verbindlichen Ankaufpreises. Aber genau das ist ja ein wesentliches Merkmal von modernem Recommerce
Spielst du mit dem Gedanken, weitere Kategorien aufzunehmen?
Generell ist das schon immer wieder ein Gedanke von mir. Unser Brot-und-Butter-Geschäft mit Musik, DVDs und Filmen wird es bald nicht mehr geben, denn diese Inhalte werden in absehbarer Zeit fast nur noch digital konsumiert und ausgetauscht. Daher sind neue Kategorien wie z.B. LEGO schon ein wichtiges Thema. Ich habe bereits intensiv über Kleidung nachgedacht, aber ich habe da in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht. Die Retourenquote ist dabei meistens zu hoch, so lässt sich auf Dauer kein Geschäft machen. Auch Elektronik ist bislang für mich keine attraktive Alternative– in Summe einfach zu kompliziert und mit zu viel Arbeitsaufwand verbunden.
Neben dem Abflauen der Medien-Verkäufe – was für Entwicklungen erwartest du sonst noch im Recommerce-Markt?
Es wird definitive weiter zu Konsolidierungen kommen. Die Plattformen, die nicht konsequent sind und keine eigenen Ideen haben, werden abdanken. Die „Big Player“ im Markt sehe ich dagegen sehr entspannt, Der Markt ist groß genug., die Potenziale sind noch längst nicht ausgeschöpft.